Es gab immer eine Lücke im Netz, dachte Pigonlozz Nebelow, während die schwarz gepanzerten Polizisten ihn abführten. Die Schwierigkeit bestand darin, die Lücke zu finden und den Mann dann zu kaufen.
Die Autotür wurde mit einem dumpfen ‘Tschak’ geschlossen. Durch die Panzerglasscheibe lag der hell erleuchtete Hafen vor ihm. Polizisten wimmelten auf einigen der Boote herum. Keiner von ihnen trug ein Regencape oder ähnliches, was ihn vor dem strömenden Regen geschützt hätte.
Eine Großrazzia und das kurz nach Mitternacht, dachte Pigonlozz, das konnte kein Zufall sein. Aber auch, wenn er jetzt ins Gefängnis kam, würde ihn das wohl kaum davon abhalten den verdammten Maulwurf in seinen Reihen finden.
Niemand betrog ungestraft Pigonlozz Nebelow, den spitzfindigsten Händler, den der Hafen Metropolas je gesehen hatte. Er verfügte nicht nur über eine Flotte von Schiffen, die an verhangenen und regnerischen Nächten wie dieser seine Ware an Land brachten. Pigonlozz handelte auch mit besonderen Gefälligkeiten. Hatte man einen lästiger Nebenbuhler oder einen betrügerischen Geschäftspartner, wandte man sich mit seinem Problem an den geheimen Herren des Hafens, und das Problem endete bald tot in einem Fluss oder einer einsamen Gasse.
Er würde diese miese kleine Ratte finden, die ihn verpfiffen hatte, und dann konnte sie sich auf etwas gefasst machen.
Jetzt musste er sich erst einmal Gedanken über seine Kontakte im Gefängnis machen. Natürlich war er auch auf diesen Fall vorbereitet, auch wenn er sich sicher gewesen war, dass sein Sicherheitssystem lückenlos war. Aber wie gesagt: es gab immer eine Lücke, selbst in den Netzen, die Pigonlozz Nebelow auslegte.
Es gab da zwei Küchenjungen, die regelmäßig Drogen bei ihm erstanden, einige der Wachen waren käuflich, das wusste er, und von einem Wächter kannte er ein Geheimnis, das besser nicht an die Öffentlichkeit kam. Und dann war da noch ein Offizier für den er mal ein ‚Problem‘ beseitigt hatte.
Pigonlozz rieb sich die fleischigen Händen. Er musste die Ruhe bewahren, er hatte alles unter Kontrolle. Für sein wunderschönes Weib und seine kleine Tochter würde schon gesorgt sein.
In dem Moment, in dem der Wächter seines Hauses erfahren hatte, dass er von der Polizei festgenommen worden war, würden seine Frau und seine kleine Tochter in eines der sicheren Häuser gebracht. Sie hatten nichts zu befürchten und Pigonlozz war froh darum.
Plötzlich ging die andere Tür zur Rückbank des Polizeiwagens noch einmal auf und ein Mann in einem nassen, aber sehr exquisiten Anzug setzte sich neben Pigonlozz.
Sofort schlug ihm ein starkes Rasierwasser entgegen, das den fein gekleideten Mann wie eine Wolke umgab.
Als Pigonlozz das Gesicht des Mannes im Schein der Hafenmole erkannte, rebellierte sein Magen nicht nur wegen des strengen Parfüms.
Fürst Sattar, der Herrscher Metropolas aus dem großen Geschlecht der Feuerhüter. Warum würde sich der Oberste der Oberen mit einem kleinen Schmuggler wie Pigonlozz abgeben? Das konnte nichts Gutes bedeuten.
“Herr Nebelow, schön Sie endlich persönlich kennenzulernen.” Die Stimme des Herrschers war wie das Schnurren einer Katze. Pigonlozz war in zu vielen Verhandlungen gewesen, um auf diesen simpelsten aller Tricks hereinzufallen.
Er neigte ehrfürchtig den Kopf; eine Verbeugung war im Wagen schlicht nicht möglich, zudem nicht mit Handschellen an den Handgelenken. “Eure Majestät. Was verschafft einem einfachen Verbrecher wie mir die Ehre Eurer Herrlichkeit.”
Die edel geschwungenen Lippen seines Gegenübers formten ein feines Lächeln. Pigonlozz war schon oft Menschen diesen Schlags begegnet. Sie wussten um ihre Schönheit und wie sie diese zu ihren Gunsten einsetzen konnten. Das Herrschergeschlecht der Feuerhüter besaß eine Haut wie flüssiges Karamell, scharf geschnittene Gesichtszüge mit einem herrischen Kinn, rabenschwarze Locken und Augen wie zwei Kohlen. Der Spruch ‘Schön wie ein Prinzensohn’ kam sicherlich nicht von irgendwoher. Zumindest nicht in Metropola.
Pigonlozz hingegen war kein besonders hübscher Zeitgenosse, das wusste er selbst, schließlich hatte er schon einmal in einen Spiegel gesehen. Neben dem hoheitsvollen Herrscher musste er wie eine aufgedunsene Wasserleiche wirken. Bis auf die Kleidung, denn dort sparte Pigonlozz ganz bestimmt nicht. Heute spannte sich eine teure, blaue Brokatweste über seinen mächtigen Bauch.
“Euch drohen mehr als zehn Jahre Haft, für das Vergehen, bei dem man Euch soeben erwischt hat, vielleicht sogar zwanzig Jahre. Gefällt Euch dieser Gedanke, Herr Nebelow?”
Die Frage klang harmlos, doch Pigonlozz witterte eine Falle. Warum sollte dieser Mann zu dieser Stunde noch auf den Beinen sein um ihm diese Frage zu stellen. Irgendwas stimmte hier nicht. Er musste vorsichtig sein.
“Das nennt sich wohl Berufsrisiko”, antwortete Pigonlozz. “Selbstverständlich hätte ich Besseres zu tun, als meine Zeit in einer kalten Zelle zu verbringen.”
Zwei der schwarz gepanzerten, triefend nassen Polizisten setzten sich in den mit einer Glasscheibe abgetrennten vorderen Teil des Wagens. Sie schienen nicht überrascht, dass Fürst Sattar einen Plausch mit ihrem Gefangenen hielt. Zwar zuckten ihre Augen immer wieder in den Rückspiegel, als könnten sie nicht glauben, wer ihr Fahrgast sei, doch ließen sie den Motor an, sodass die Feuergeister darin fauchend zum Leben erwachten und zwei helle Lichtstrahlen die hinterste Ecke der Hafenmole erstrahlten. Dann fuhren sie los.
“Was halten Sie davon, wenn sie statt in einer kalten Zelle zu sitzen, einer meiner Ermittler werden?”
“Warum sollten Sie mir so ein Angebot machen?”, fragte Pigonlozz misstrauisch.
Derweil fuhren sie durch den des nachts finsteren Hafen. Hier und da huschten kleine und auch größere Ratten tiefer in die Schatten, wenn sich der Polizeiwagen näherte.
“Sie sind ein fähiger Mann, Herr Pigonlozz, es hat lange gedauert Sie zu fassen. Sie haben Kontakte zu Allem und Jedem in dieser Stadt. Ich wette selbst in meiner Familie gibt es solche, die Euch etwas schuldig sind. Außerdem kenne ich Ihre besondere Affinität zum Wasser. Es sind nicht nur Eure Kontakte, die Euch zu einem erfolgreichen… Kaufmann… gemacht haben.”
Pigonlozz kniff die Augen zusammen. Sein besonderer Draht zum Wasser war nicht unbedingt geheim, denn er drohte damit auch schon mal dem einen oder anderen Geschäftspartner, aber er fragte sich dennoch, wie der Fürst das wissen konnte.
“Mein Sohn hat eine Einheit aus …besonderen … Menschen zusammengestellt. Ich will, dass Sie ein Teil davon werden. Und mich über jeden Fortschritt genauestens unterrichten.”
“Ich soll Ihr Spion werden?” Es war eigentlich eine Feststellung. Er wusste nicht, was da vorging, aber es klang ganz nach Machenschaften der Oberen. Machenschaften, in die er ganz bestimmt nicht hineingezogen werden wollte.
“Ich hätte mehr von einem Informanten gesprochen”, meinte der Herrscher schmunzelnd. “Mit Informanten kennen Sie sich doch sicherlich aus.”
Inzwischen fuhr der Wagen auf den grell erleuchteten Hauptstraßen Metropolas. Um diese Uhrzeit und bei diesem Regen, war kaum noch jemand auf den Beinen. Die Straßen waren wie leergefegt. Die riesigen Wolkenkratzer stützten die dunkelgraue Wolkendecke. Metropola zeigte sich von seiner finstersten Seite in dieser Nacht.
“Eure Majestät, ich muss dankend ablehnen. Einer solchen Verantwortung bin ich nicht gewachsen”, sagte Pigonlozz Nebelow. Er würde sich in nichts hineinziehen lassen. Er würde gemütlich in seiner Zelle sitzen und von dort aus seine Geschäfte regeln.
“Nein, ich glaube nicht, dass Sie ablehnen werden. Schließlich würde ich Euch Eure Freiheit nach beendetem Fall wiedergeben. Ihr könntet schon in wenigen Wochen wieder bei Eurer Familie sein…”
“Eure Majestät, Ich bevorzuge die ehrliche Gerichtsbarkeit und werde erhobenen Hauptes meine gerechte Strafe antreten. Suchen sie sich einen anderen, der Eure Drecksarbeit erledigt.” Bei Pigonlozzs scharfen Worten schien die Maske der Freundlichkeit von dem Gesicht Fürst Sattars abzufallen. Darunter kamen ein kalter Blick und ein harter Zug um den Mund zum Vorschein.
“Ihr werdet meinen Befehlen gehorchen, Nebelow. Schließlich wollen sie doch Ihre kleine Aleksandra wiedersehen. Oder wollen Sie, dass sie schreckliche Qualen erleidet, weil ihr Daddy ungehorsam ist.” Die Stimme war kalt und scharf wie Eis und schnitt mit Rasierklingen in Pigonlozz kleines Herz.
“Ihr wagt es nicht, meiner Tochter etwas anzutun”, sagte er leise.
“Lasst es besser nicht darauf ankommen. Wir haben Ihre Familie in Gewahrsam. Der Wächter, den Sie bezahlt haben, war von uns eingeschleust. Wie Sie sehen, haben nicht nur Sie Ihre Kontakte.”
Pigonlozz starrte den Herrscher nun mit unverhohlenem Hass an. So war das also. Man ließ ihm keine Wahl, als mitten in dieses Spiel hineingezogen zu werden.
Der Wagen hielt vor der Polizeiwache. Ein heruntergekommener, jedoch robuster Betonbau. Ein Ungeheuer, dass im Regen kauerte.
“Ich glaube Euch nicht”, sagte Pigonlozz. In Wahrheit nagte der Gedanke an ihm. Was wenn es stimmte? Was wenn seine kleine Aleksandra Schmerzen erleiden würde?
“Gebt mir einen Beweis, dass sie in Eurer Gewalt ist”, forderte Pigonlozz.
“Sie werden mir wohl vertrauen müssen. Wenn sie sich jedoch weigern, werden Sie bald ein Video von Ihrer Tochter bekommen, dann wird sie ihren Daddy allerdings schon verfluchen, das verspreche ich Ihnen.”
Die Polizisten stiegen aus und öffneten die Tür auf Pigonlozzs Seite. Sofort klatschte der kalte Regen auf die Sitze. Pigonlozz teure Kleidung blieb wie durch ein Wunder verschont.
“Wenn Ihr das vermeiden wollt, tut Ihr was ich Euch gesagt habe, werdet Teil der Ermittlergruppe und berichtet mir alles bis ins kleinste Detail. Ihr werdet noch heute Nacht gerufen werden.”
Pigonlozz biss die Zähnen zusammen und stieg aus dem Auto. “Ich habe verstanden, Eure Majestät”, sagte er. Dann ließ er sich abführen.
Fürst Sattar hatte sein Netz gut vorbereitet und Pigonlozz Nebelow clever darin verwickelt. Ihm blieb keine andere Wahl, als seinen Befehlen Folge zu leisten. Aber wohin würde ihn das führen?