Veröffentlicht in Metropola

4. Ein unangenehmer Job

“Ich bin dein Sohn!”, rief Rashaan, “Nicht dein verdammter Angestellter!”

“Trotzdem wirst du tun was ich dir sage, es sei denn du willst für immer der Abschaum der Familie bleiben.” Während Rashaan seiner Wut freien Lauf ließ, wie ein Waldbrand, wirkte sein Vater, der Herrscher von Metropola, eher wie weiße Glut: Nach außen hin ruhig, doch in Wahrheit heißer als alles andere.

Rashaan schnaubte: “Das kannst du nicht. Mich für immer ausstoßen.”

Der dunkelhaarige Herrscher sah hinab auf die Papiere vor sich auf dem Schreibtisch. “Du würdest dich wundern, was ich alles kann. Und jetzt kümmere dich um den Fall. Vorher sollst du mir nicht mehr unter die Augen kommen.” Sein Tonfall hatte etwas entgültiges. Rashaan wusste, dass es keinen Sinn hatte, jetzt weiter in ihn zu dringen.

Mit grimmiger Miene stolzierte er aus dem prunkvollen Arbeitszimmer und warf die Tür mit einem Krachen ins Schloss. Sein Vater hatte ihn zu einem einfachen Polizisten degradiert! Ihn, Rashaan Flammenblut, der jüngste Spross der Herrscherfamilie.

Die Angestellten sprangen aus dem Weg, sobald er in Sicht kam. Niemand wollte sich ihm und seinem Zorn in den Weg stellen. Besser war es.

Im Hof stand seine glänzende Harley. Dunkelrot lackiert, mit einem Flammenstoß als Auspuff und kleinen Teufeln, die auf dem Scheinweirfer tanzten. Seine Gabi, sein Prachtstück. Sie war wohl die Einzige, die ihn zur Zeit nicht im Stich ließ. Und das ganze wegen einem Fehltritt! Gut möglicherweise war es nicht der erste gewesen, ihn jedoch mit gewöhnlichen Verbrechern auf die Jagd nach einem gestohlenen Buch zu schicken, war maßloß übertrieben. Und mit dem Übertreiben kannte er sich schließlich aus.

Er schwang sich auf Gabi und mit einem Schnurren erwachte die Flammengeister in ihr. Es bedurfte nur einer kleiner Bewegung aus dem Handgelenk und das rot-schwarz schillernde Motorrad schoss fauchend in die Luft.

Für Rashaan bedeutete sein fliegendes Motorrad schon lange keinen Kick mehr. Dafür brauchte es schon den freien Fall aus einem Flugzeug, den unbewaffneten Kampf gegen eine Überzahl von Gegnern oder eine glatte Felswand, die er ohne Sicherung überwinden konnte. Alles, bei dem sein Leben nicht mehr auf dem Spiel stand, empfand er als äußerst langweilig.

Zunächst schossen unter ihm die Gärten seiner Familie entlang, dann erreichte er die Stadt mit seinen Tropfenden Giganten. Hier schien auch nicht die Sonne, wie bei ihrem Herrschaftssitz, sondern Regen hielt die Stadt Metropola fast rund ums Jahr fest in ihrem Griff.

Nach kaum einer Sekunde war seine schwarze Lederjacke viermal so schwer und klebte unangenehm auf seiner Haut.

Sehr schlecht gelaunt lenkte Rashaan Gabi in den Innenhof des Museums für magische Geschichte. In einem Schwall brauner Brühe kam er vor den altehrwürdigen Stufen zu stehen.

Und stand einem im Schlamm gebadetem Gespenst, zwei Schwerverbrechern und seinem viel zu jungen Aufpasser gegenüber.

“Ihr seid zu spät”, erklärte der junge Officer mit tadelndem Unterton.

„Es ist ja nicht dein Fall, Helfer“, gab Rashaan zurück.

Gabi kam mit einem letzten Aufheulen zum Erliegen und Rashaan schwang seine langen Beine von ihr. Der mit schlamm besudelten Gestalt schenkte er keine Beachtung und schlenderte die Stufen hinauf ins Trockene.

“Immerhin bin ich überhaupt da, Wieselgesicht”, meinte Rashaan. Er stieß die gewaltigen, hölzernen Flügeltüren auf und verteilte beim Eintreten großzügig Schlamm auf dem penibel polierten Marmor Boden.

“Ich glaub ich mag ihn”, sagte der dicke Mann, an dem der Prinz ohne einen Blick vorbei marschiert war.

“Ich hoffe wir können diesen Auftrag schnell erledigen”, antwortete eine dumpf dröhnende Stimme neben dem Dicken.

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3. Mit dem Auge der Geister

Riesenhaften, schwarzen Monstern gleich, lauerten die spiegelglatten Hochhäuser auf einen Fehler von Ermolai Grünzweig.

Er überquerte schleppend den Hinterhof. Der Regen war wie ein Eimerguss , doch der Umhang mit der gewachsten Lederkapuze hielt Ermolai trocken. Der kalte Metallreif um seinen Hals war ein Fremdkörper auf seiner fiebrig heißen Haut.

“Schnüffeln, sollst du”, hatten sie zu ihm gesagt, “Dann darfst du vielleicht zurück in die Wildnis, wo du hingehörst.”

Wenn Ermolai an die Menschen, die ihm den Reif umgelegt hatten, dachte, empfand er Hass.

Hass auf die Menschen. Hass auf ihre Technologie. Hass auf ihre Skrupellosigkeit. Er fragte sich, wie er derselben Rasse angehören und sich doch den Niedergang der Menschheit wünschen konnte.

Er erreichte die Stufen, die zum Museum für magische Geschichte führten. Ein Museum war wohl ein Hort von Wissen. Dort wurde das Wissen weggesperrt. Bei den Geistern war das anders. Durch eine Verbindung konnte man einem anderen sein Wissen in nur einem Augenblick mitteilen.

Die Geister tauschten Wissen und Erfahrung mit jedem. Es gab keine Elite, der es vorbehalten war.

“Du bist also unser Spürhund, habe ich das richtig verstanden?” Der junge Mensch trug eine ähnliche Bekleidung wie die, die ihn festgenommen hatten. Nur ohne Panzerung. Eine Uniform, hatte man ihm gesagt.

“Ja”, sagte er. Mit dem Fährtenlesen kannte er sich aus. Auch mit dem Bewegen von Erde. Von viel Erde. Dazu durfte allerdings kein Wurzelwerk sie mehr halten.

“Sehr gut, mein Name ist Jennis Helfer. Ich bin der verantwortliche Offizier dieses Einsatzes.”

Ermolai nickte.

Plötzlich zischte es, Wasser spritzte mannshoch auf und ergoss sich in einem braunen Schwall über Ermolai. Da half auch die Kapuze nichts.

Der Offizier schüttelte sich den Schlamm von den Schuhen. “Seid Ihr der Soldat, der uns zur Verfügung gestellt wurde?”, fragte er. „Xenon?“

“Jawohl, Sir”, antwortete eine blecherne Grabesstimme.

Nachdem Ermolai sich den Schlamm aus den Augen gewischt hatte, konnte er schaudernd den Neuankömmling zu dieser Stimme sehen.

Er schien wie aus Ermolais schlimmsten Albträumen entsprungen. Zwar war die Gestalt menschlich, doch überall blitzte blankes, poliertes Metall, selbst ein Auge glühte in dem grellen Blau einer Maschinenanzeige. Vor ihm stand die Verschmelzung eines Soldaten mit einer Maschine. Stählerne Muskeln, Fetzen von glatter, weißer Haut zogen sich über den halb metallischen Schädel.

Das menschliche Auge betrachtet Ermolai mit kalter Gleichgültigkeit und das hellblaue fixierte ihn mit analytischem Computerblick.

Dann stieg der Maschinenmann die Stufen hinauf und stellte sich unter dem Vordach unter.

Ermolai war ohnehin schon nass bis auf die Knochen. Da würde er größtmöglichen Abstand zu dem Menschen und dieser albtraumhaften Maschine halten und hier unten bleiben.

Als nächstes fuhr ein langer schwarzer Wagen vor. Die Tür öffnete sich und ein bemerkenswert dicker Mann stieg aus. Das Wasser floss um ihn herum, sodass er selbst in dem strömenden Regen nicht nass wurde.

Feiner Stoff in den Tönen der Flüsse und Bäche spannte sich über den feisten Mann. Als er sich schleppend in ihre Richtung in Bewegung setzte, erinnerte er Ermolai an eines der schwerfälligen Wassertiere, die im Fluss lebten. Zumindest hatten sie dort gelebt, bevor die Menschen den Fluss austrockneten und eine Mondlandschaft aushoben.

Der Zorn kochte wieder in ihm hoch und mit ihm die Erinnerungen.

Die Menschen hatten seine Heimat zerstört. Die Geister der Erde getötet und nur Ödnis zurückgelassen. Ein tiefes Loch, in dem sie Mutter Erde ihre best gehütetesten Schätze entrissen. Er hatte es zugeschüttet, das Loch der Verdammnis. Das hatte den Menschen nicht gefallen. Deswegen war er jetzt ihr Spürhund.

Ermolai bekam gerade noch mit, wie sich das breite Feistgesicht mit “Pigonlozz Nebelow” vorstellte, denn ergoss sich ein weiterer Schwall des schlammigen Wassers über ihn.

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2. Die Eintönigkeit der Maschine

Die Eintönigkeit war allumfassend. Graues Metall vor ihm, nur wenige Handbreit von seinem Gesicht entfernt. Graues Metall hielt seinen ruhenden Körper. Und graues Metall war alles, was Xenon sehen konnte.

Auf einmal gab es ein schrilles Piepsen, dass sich in seinen Gehörgang gefressen hätte, wäre dieser aus Fleisch gewesen wie bei einem Menschen. Erleichtert darüber aus seiner Langeweile geweckt worden zu sein, öffnete Xenon die angekommene Nachricht.

Ein quäkende Stimme verkündete: „Dr. Theopilus Emanuel Schmidt, Sie werden gebraucht. Bewegen Sie sich sofort zum Museum für magische Geschichte und melden Sie sich bei Jennis Helfer.“

Mit einem weiteren schrillen Piepen endete die Nachricht. Xenon seufzte. Er wollte nicht. Warum vergaß man ihn nicht einfach hier unten? Dann müsste er sich nie wieder bewegen. Dann aber wallten die Schuldgefühle wieder auf und er erinnerte sich, warum er gehorchen musste. Er hatte große Zerstörung und viele Tote zu verantworten. Er musste seine Schuld gegenüber Metropola begleichen.

Xenon drückte einen Knopf nahe seiner rechten Hand. Mit einem Zischen wurde er von seiner Ruhekammer direkt auf die Straße in den strömenden Regen gesetzt.

Das Museum für magische Geschichte also. Dunkel erinnerte der Doktor des Maschinenbaus sich, dass er dort schon einmal gearbeitet hatte. Doch diese grauen Erinnerungen gingen unter in dem steten Strom schillernder Datenströme, die stets auf ihn einprasselten. Und die ihm mehr Informationen über seine Umgebung gaben, als es einem Menschen möglich gewesen wäre zu erfassen.

Eine schwarze Limousine fuhr vorbei und ein Schwall schmutziges Wasser ergoss sich über seine Schuhe. Dann loggte er das Museum für magische Geschichte als Ziel ein und seine maschinenbetriebenen Beine trugen ihn so schnell dorthin, dass eine Schneise im Regen entstand.

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1. Das Netz

Es gab immer eine Lücke im Netz, dachte Pigonlozz Nebelow, während die schwarz gepanzerten Polizisten ihn abführten. Die Schwierigkeit bestand darin, die Lücke zu finden und den Mann dann zu kaufen.

Die Autotür wurde mit einem dumpfen ‘Tschak’ geschlossen. Durch die Panzerglasscheibe lag der hell erleuchtete Hafen vor ihm. Polizisten wimmelten auf einigen der Boote herum. Keiner von ihnen trug ein Regencape oder ähnliches, was ihn vor dem strömenden Regen geschützt hätte.

Eine Großrazzia und das kurz nach Mitternacht, dachte Pigonlozz, das konnte kein Zufall sein. Aber auch, wenn er jetzt ins Gefängnis kam, würde ihn das wohl kaum davon abhalten den verdammten Maulwurf in seinen Reihen finden.

Niemand betrog ungestraft Pigonlozz Nebelow, den spitzfindigsten Händler, den der Hafen Metropolas je gesehen hatte. Er verfügte nicht nur über eine Flotte von Schiffen, die an verhangenen und regnerischen Nächten wie dieser seine Ware an Land brachten. Pigonlozz handelte auch mit besonderen Gefälligkeiten. Hatte man einen lästiger Nebenbuhler oder einen betrügerischen Geschäftspartner, wandte man sich mit seinem Problem an den geheimen Herren des Hafens, und das Problem endete bald tot in einem Fluss oder einer einsamen Gasse.
Er würde diese miese kleine Ratte finden, die ihn verpfiffen hatte, und dann konnte sie sich auf etwas gefasst machen.

Jetzt musste er sich erst einmal Gedanken über seine Kontakte im Gefängnis machen. Natürlich war er auch auf diesen Fall vorbereitet, auch wenn er sich sicher gewesen war, dass sein Sicherheitssystem lückenlos war. Aber wie gesagt: es gab immer eine Lücke, selbst in den Netzen, die Pigonlozz Nebelow auslegte.

Es gab da zwei Küchenjungen, die regelmäßig Drogen bei ihm erstanden, einige der Wachen waren käuflich, das wusste er, und von einem Wächter kannte er ein Geheimnis, das besser nicht an die Öffentlichkeit kam. Und dann war da noch ein Offizier für den er mal ein ‚Problem‘ beseitigt hatte.

Pigonlozz rieb sich die fleischigen Händen. Er musste die Ruhe bewahren, er hatte alles unter Kontrolle. Für sein wunderschönes Weib und seine kleine Tochter würde schon gesorgt sein.

In dem Moment, in dem der Wächter seines Hauses erfahren hatte, dass er von der Polizei festgenommen worden war, würden seine Frau und seine kleine Tochter in eines der sicheren Häuser gebracht. Sie hatten nichts zu befürchten und Pigonlozz war froh darum.

Plötzlich ging die andere Tür zur Rückbank des Polizeiwagens noch einmal auf und ein Mann in einem nassen, aber sehr exquisiten Anzug setzte sich neben Pigonlozz.

Sofort schlug ihm ein starkes Rasierwasser entgegen, das den fein gekleideten Mann wie eine Wolke umgab.

Als Pigonlozz das Gesicht des Mannes im Schein der Hafenmole erkannte, rebellierte sein Magen nicht nur wegen des strengen Parfüms.

Fürst Sattar, der Herrscher Metropolas aus dem großen Geschlecht der Feuerhüter. Warum würde sich der Oberste der Oberen mit einem kleinen Schmuggler wie Pigonlozz abgeben? Das konnte nichts Gutes bedeuten.

“Herr Nebelow, schön Sie endlich persönlich kennenzulernen.” Die Stimme des Herrschers war wie das Schnurren einer Katze. Pigonlozz war in zu vielen Verhandlungen gewesen, um auf diesen simpelsten aller Tricks hereinzufallen.

Er neigte ehrfürchtig den Kopf; eine Verbeugung war im Wagen schlicht nicht möglich, zudem nicht mit Handschellen an den Handgelenken. “Eure Majestät. Was verschafft einem einfachen Verbrecher wie mir die Ehre Eurer Herrlichkeit.”

Die edel geschwungenen Lippen seines Gegenübers formten ein feines Lächeln. Pigonlozz war schon oft Menschen diesen Schlags begegnet. Sie wussten um ihre Schönheit und wie sie diese zu ihren Gunsten einsetzen konnten. Das Herrschergeschlecht der Feuerhüter besaß eine Haut wie flüssiges Karamell, scharf geschnittene Gesichtszüge mit einem herrischen Kinn, rabenschwarze Locken und Augen wie zwei Kohlen. Der Spruch ‘Schön wie ein Prinzensohn’ kam sicherlich nicht von irgendwoher. Zumindest nicht in Metropola.

Pigonlozz hingegen war kein besonders hübscher Zeitgenosse, das wusste er selbst, schließlich hatte er schon einmal in einen Spiegel gesehen. Neben dem hoheitsvollen Herrscher musste er wie eine aufgedunsene Wasserleiche wirken. Bis auf die Kleidung, denn dort sparte Pigonlozz ganz bestimmt nicht. Heute spannte sich eine teure, blaue Brokatweste über seinen mächtigen Bauch.

“Euch drohen mehr als zehn Jahre Haft, für das Vergehen, bei dem man Euch soeben erwischt hat, vielleicht sogar zwanzig Jahre. Gefällt Euch dieser Gedanke, Herr Nebelow?”

Die Frage klang harmlos, doch Pigonlozz witterte eine Falle. Warum sollte dieser Mann zu dieser Stunde noch auf den Beinen sein um ihm diese Frage zu stellen. Irgendwas stimmte hier nicht. Er musste vorsichtig sein.

“Das nennt sich wohl Berufsrisiko”, antwortete Pigonlozz. “Selbstverständlich hätte ich Besseres zu tun, als meine Zeit in einer kalten Zelle zu verbringen.”

Zwei der schwarz gepanzerten, triefend nassen Polizisten setzten sich in den mit einer Glasscheibe abgetrennten vorderen Teil des Wagens. Sie schienen nicht überrascht, dass Fürst Sattar einen Plausch mit ihrem Gefangenen hielt. Zwar zuckten ihre Augen immer wieder in den Rückspiegel, als könnten sie nicht glauben, wer ihr Fahrgast sei, doch ließen sie den Motor an, sodass die Feuergeister darin fauchend zum Leben erwachten und zwei helle Lichtstrahlen die hinterste Ecke der Hafenmole erstrahlten. Dann fuhren sie los.

“Was halten Sie davon, wenn sie statt in einer kalten Zelle zu sitzen, einer meiner Ermittler werden?”

“Warum sollten Sie mir so ein Angebot machen?”, fragte Pigonlozz misstrauisch.

Derweil fuhren sie durch den des nachts finsteren Hafen. Hier und da huschten kleine und auch größere Ratten tiefer in die Schatten, wenn sich der Polizeiwagen näherte.

“Sie sind ein fähiger Mann, Herr Pigonlozz, es hat lange gedauert Sie zu fassen. Sie haben Kontakte zu Allem und Jedem in dieser Stadt. Ich wette selbst in meiner Familie gibt es solche, die Euch etwas schuldig sind. Außerdem kenne ich Ihre besondere Affinität zum Wasser. Es sind nicht nur Eure Kontakte, die Euch zu einem erfolgreichen… Kaufmann… gemacht haben.”

Pigonlozz kniff die Augen zusammen. Sein besonderer Draht zum Wasser war nicht unbedingt geheim, denn er drohte damit auch schon mal dem einen oder anderen Geschäftspartner, aber er fragte sich dennoch, wie der Fürst das wissen konnte.

“Mein Sohn hat eine Einheit aus …besonderen … Menschen zusammengestellt. Ich will, dass Sie ein Teil davon werden. Und mich über jeden Fortschritt genauestens unterrichten.”

“Ich soll Ihr Spion werden?” Es war eigentlich eine Feststellung. Er wusste nicht, was da vorging, aber es klang ganz nach Machenschaften der Oberen. Machenschaften, in die er ganz bestimmt nicht hineingezogen werden wollte.

“Ich hätte mehr von einem Informanten gesprochen”, meinte der Herrscher schmunzelnd. “Mit Informanten kennen Sie sich doch sicherlich aus.”

Inzwischen fuhr der Wagen auf den grell erleuchteten Hauptstraßen Metropolas. Um diese Uhrzeit und bei diesem Regen, war kaum noch jemand auf den Beinen. Die Straßen waren wie leergefegt. Die riesigen Wolkenkratzer stützten die dunkelgraue Wolkendecke. Metropola zeigte sich von seiner finstersten Seite in dieser Nacht.

“Eure Majestät, ich muss dankend ablehnen. Einer solchen Verantwortung bin ich nicht gewachsen”, sagte Pigonlozz Nebelow. Er würde sich in nichts hineinziehen lassen. Er würde gemütlich in seiner Zelle sitzen und von dort aus seine Geschäfte regeln.

“Nein, ich glaube nicht, dass Sie ablehnen werden. Schließlich würde ich Euch Eure Freiheit nach beendetem Fall wiedergeben. Ihr könntet schon in wenigen Wochen wieder bei Eurer Familie sein…”

“Eure Majestät, Ich bevorzuge die ehrliche Gerichtsbarkeit und werde erhobenen Hauptes meine gerechte Strafe antreten. Suchen sie sich einen anderen, der Eure Drecksarbeit erledigt.” Bei Pigonlozzs scharfen Worten schien die Maske der Freundlichkeit von dem Gesicht Fürst Sattars abzufallen. Darunter kamen ein kalter Blick und ein harter Zug um den Mund zum Vorschein.

“Ihr werdet meinen Befehlen gehorchen, Nebelow. Schließlich wollen sie doch Ihre kleine Aleksandra wiedersehen. Oder wollen Sie, dass sie schreckliche Qualen erleidet, weil ihr Daddy ungehorsam ist.” Die Stimme war kalt und scharf wie Eis und schnitt mit Rasierklingen in Pigonlozz kleines Herz.

“Ihr wagt es nicht, meiner Tochter etwas anzutun”, sagte er leise.

“Lasst es besser nicht darauf ankommen. Wir haben Ihre Familie in Gewahrsam. Der Wächter, den Sie bezahlt haben, war von uns eingeschleust. Wie Sie sehen, haben nicht nur Sie Ihre Kontakte.”

Pigonlozz starrte den Herrscher nun mit unverhohlenem Hass an. So war das also. Man ließ ihm keine Wahl, als mitten in dieses Spiel hineingezogen zu werden.

Der Wagen hielt vor der Polizeiwache. Ein heruntergekommener, jedoch robuster Betonbau. Ein Ungeheuer, dass im Regen kauerte.

“Ich glaube Euch nicht”, sagte Pigonlozz. In Wahrheit nagte der Gedanke an ihm. Was wenn es stimmte? Was wenn seine kleine Aleksandra Schmerzen erleiden würde?

“Gebt mir einen Beweis, dass sie in Eurer Gewalt ist”, forderte Pigonlozz.

“Sie werden mir wohl vertrauen müssen. Wenn sie sich jedoch weigern, werden Sie bald ein Video von Ihrer Tochter bekommen, dann wird sie ihren Daddy allerdings schon verfluchen, das verspreche ich Ihnen.”

Die Polizisten stiegen aus und öffneten die Tür auf Pigonlozzs Seite. Sofort klatschte der kalte Regen auf die Sitze. Pigonlozz teure Kleidung blieb wie durch ein Wunder verschont.

“Wenn Ihr das vermeiden wollt, tut Ihr was ich Euch gesagt habe, werdet Teil der Ermittlergruppe und berichtet mir alles bis ins kleinste Detail. Ihr werdet noch heute Nacht gerufen werden.”

Pigonlozz biss die Zähnen zusammen und stieg aus dem Auto. “Ich habe verstanden, Eure Majestät”, sagte er. Dann ließ er sich abführen.

Fürst Sattar hatte sein Netz gut vorbereitet und Pigonlozz Nebelow clever darin verwickelt. Ihm blieb keine andere Wahl, als seinen Befehlen Folge zu leisten. Aber wohin würde ihn das führen?

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Kalter Mondschein

Sie suchte ihn abermals im ‚Einsamen Wanderer‚ auf. Nicht die kalte Dunkelhaarige, sondern das hübsche Blondchen. Wieder verbarg ein langer schwarzer Umhang das feine Gewebe ihres weiß-goldenen Kleides, doch die Kapuze hatte sie dieses Mal zurückgeschlagen.

„Ich muss mit dir reden“, sagte Nordstern unumwunden, als sie vor seinem Stammtisch angelangt war.

„Wo ist deine dunkelhaarige Freundin?“, wollte Abraxas wissen.

„Darum geht es. Es ist Vollmond. Gibt es hier einen Ort, wo wir uns ungestört unterhalten können?“

Abraxas musterte sie über den Rand seines Weinkrugs. Sie wirkte angespannt und sah ihn flehend aus großen blauen Augen an.
„Na gut, komm mit.“ Er schob seinen Stuhl zurück, griff seinen Krug und ging voraus zu der schiefen Holztreppe, die ins Obergeschoss führte. Nordstern folgte ihm auf den Fuß. Er führte sie in das Zimmer, das er im ‚Einsamen Wanderer‚ bewohnte. Es war das größte des Wirtshauses und er lebte hier seit mindestens einem Jahrzehnt.

Beim Eintreten in sein Allerheiligstes rümpfe Nordstern die Nase. „Ich glaube, ich bin noch keinem Gefallenen mit so niedrigem Lebensstandart begegnet“, meinte sie. Dennoch streifte sie ihren Umhang ab und ließ sich aus Ermangelung einer Sitzgelegenheit auf seinem Bett nieder.

„Rebellen leben nun mal nicht unbedingt bequem“, gab er zurück und lehnte sich an einen Tisch, der vor dem Fenster auf die Straße stand. Der Stuhl davor war von einem Stapel Bücher belegt. Genauso wie der größte Teil des Tisches. Und sein Nachttisch. Und diese eine Ecke des Raumes, die er sowieso nie geputzt hatte. „Also, was gibt es Wichtiges?“

„Nun“, begann Nordstern. „Der Rabenhort existiert noch.“

„Da hast du eine gute Beobachtungsgabe“, lobte Abraxas und genehmigte sich einen Schluck des Weines. Mit der anderen Hand fuhr er unter eine offene Schriftrolle hinter seinem Rücken und ertastete das kühle Metall, nachdem er gesucht hatte. Unauffällig schob er es hinten in den Bund seiner Hose.

„Das hat dem Vater nicht gefallen“, sagte Nordstern. Sie schien nichts bemerkt zu haben.

„Und was will er dagegen unternehmen?“ Er knallte den Krug auf dem Tisch und ging einige Schritte auf Nordstern zu. „Mir eine weitere Verwarnung zukommen lassen?“

„Er schickt Mond, um deine Stadt zu vernichten“, erwiderte Nordstern mit vorgerecktem Kinn. „Sie ist auf dem Weg hierher.“

Abraxas kam dicht vor ihr zum Stehen, sodass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihn anzusehen. „Und weshalb bist du dann hier?“, wollte er wissen.

„Ich wollte dich warnen.“ Sie streckte eine Hand aus und berührte mit den Fingerspitzen sein Gesicht. „Sie wird kein Erbarmen zeigen.“

„Das ist mir gleich“, flüsterte Abraxas. „Denn ich habe ja dich.“ Er kam ihr noch näher, drückte sie an der Schulter sanft auf das Bett und stieg über sie. „So lange ich dich habe, kann mir deine Freundin gestohlen bleiben.“ Er beugte sich hinab und küsste ihre vollen Lippen. Sie stöhnte auf und wölbte ihm ihren wohlgeformten Körper entgegen. Innerlich schmunzelte Abraxas. Er hatte vollkommen richtig gelegen.

Während er Nordstern mit einer Hand aufs Bett presste und sie mit Küssen bedeckte, griff er mit der anderen nach den Handschellen, die er in seinen Hosenbund geschoben hatte. Mit einem Blick zum Fenster vergewisserte er sich, dass die Sonne noch nicht untergegangen war. Glühend schwebte sie noch über dem Horizont. Viel Zeit blieb ihm also nicht mehr, bis das Himmelsgestirn unter ihm zu voller Stärke erwachte.

Also jetzt oder nie.

Er zog die Handschellen hervor und es gelang ihm, sie um die schlanken Handgelenke Nordsterns zu schlingen, bevor dieser bewusst wurde, was er da tat.
Noch immer kniete er über ihr, doch nun lagen ihre Hände in Sterneneisen. Das einzige Metall, das ein Himmelsgestirn binden konnte. Er hatte den einen Monat gut genutzt und sich vorbereitet.

„Was soll das?“, fauchte Nordstern und versuchte, sich aus den Fesseln zu befreien.

„Ich danke dir für deine Fürsorge“, sagte Abraxas und erhob sich vom Bett. „Aber ich wusste, dass ihr beiden wiederkommen würdet und ich bin vorbereitet.“

„Ich bin nicht deine Feindin“, presste Nordstern hervor. „Ich bin gekommen um dich zu warnen!“

„Das weiß ich zu schätzen“, sagte Abraxas. „Und jetzt sei eine brave Geisel und halt den Mund.“ Er schob die Schriftrolle beiseite. Darunter lag ein weiteres Paar Handschellen aus demselben Material. Ein Schmied hatte sie nach Abraxas Angaben aus dem Sterneneisen gefertigt, für das er beinahe seine Seele verkauft hatte.

„Sterneisen“, sagte Nordstern und diesmal klang sie niedergeschlagen.“

„Exakt.“

„Mich gefangen zu halten wird Mond nicht aufhalten.“

„Ich habe immer noch einen Plan B“, sagte er und griff mit diesen Worten die Handschellen und die Kette aus Sterneneisen, die noch auf dem Tisch lagen.

„Es ist noch nicht zu spät, die Forderungen des Vaters zu erfüllen!“

Abraxas stieß den Tisch zur Seite, öffnete das Fenster und kletterte auf den Fenstersims. „Der Vater ist mir recht egal“, sagte er.

Raschelnd entfaltete er seine nachtschwarzen Schwingen und stieg mit kräftigen Flügelschlägen zum Himmel auf. Mond würde Rabenhort sehen müssen, um es zu zerstören. Also musste sie hier irgendwo sein.

Und da erspähte er sie. Eine dünne Silouette vor der gleißend hellen Scheibe des Mondes. Ohne Flügel oder andere sichtbare Hilfsmittel schwebte sie reglos in der Luft. Die Arme hatte sie über den Kopf erhoben.

Abraxas beschleunigte seinen Flügelschlag und kam Mond immer näher. Nun konnte er das dunkle Haar erkennen, das der Wind ihr ins Gesicht trieb. Ihr schmaler Mund bewegte sich in einer Beschwörungsformel.

Und da sah Abraxas den Meteroiten. Er begann als Sternschnuppe am Himmel. Doch anstatt nach wenigen Sekunden zu verglühen, wurde er größer und größer. Rote und blaue Flammen zogen in seinem Schweif Spuren in den Himmel. Und dann stand er direkt über ihnen. Ein brennender Gigant aus Himmelsgestein.

Abraxas kollidierte mit Mond, doch es war zu spät.

Mit einem Getöse als würde die Welt zerbrechen, schlug der Meteorit in Rabenhort ein. Die Welt erzitterte unter dem Einschlag und die Druckwelle zog Abraxas wieder von Mond fort.
Der Donner des Einschlags hallte noch in der Ferne nach und dann war es still.

Totenstill. Bis auf das spöttische Lachen aus Monds Kehle. Inzwischen schwebte sie einige Manneslängen von ihm entfernt. Unberührt von der Schwerkraft, während er sich mit kräftigen Flügelschlägen in der Luft halten musste.

Unter ihnen breitete sich aus, was einmal Rabenhort gewesen war. Nun gab es lediglich einen Krater, gefüllt mit Trümmern der Stadt, die er sich zur Heimat gemacht hatte. Und in der Mitte lag der schwelende Meteorit. Groß wie die Kirche in Barnaie und genauso abstoßend.
„Nordstern war in Rabenhort“, brachte er schließlich heraus.

„Und was interessiert mich das?“, fragte Mond. Ihre rauchige Stimme hatte einen überirdischen Klang.

„Ich muss töricht gewesen sein, dir menschliches Empfinden einzuräumen.“

„Das ist nicht deine Einzige Torheit, Dunkelschwinge“, sagte Mond. Mit wehendem Kleid stieg sie höher und höher, sodass Abraxas Mühe hatte, mitzuhalten. „Gib acht, mit wem du dich nun anlegst, Gefallener, denn der Vater hat dir deine Unsterblichkeit genommen.“ Dann beschleunigte sie und schoss hinauf in den finsteren Nachthimmel und ließ Abraxas über den Trümmern seiner Heimat zurück.

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Der Faden

Drei Frauen standen vor einem Webstuhl und betrachteten ihr Werk.

„Was soll ich jetzt mit dem Faden machen?“, fragte die eine. Sie hielt das Webschiffchen in der einen Hand, die andere stützte sie in die Hüfte. Mit gerunzelter Stirn blickte sie auf das bereits fertige Gewebe. Ihr Leib war geschwollen von dem werdenden Kind. „Seht ihr wie schön er hier im Bild zur Geltung kommt?“ Sie deutete mit dem Schiffchen auf besagte Stelle. „Aber jetzt scheint er das Bild ruinieren zu wollen.“

„Vielleicht könnten wir versuchen…“, hob die Jüngste von ihnen an; eine junge blonde Frau, fast noch ein Mädchen.

„Schneid ihn weg!“, fiel die dritte Frau der Jüngsten unwirsch ins Wort.

„Aber sieh doch! Wenn wir ihn mit den grünen und dann mit einem goldenen verweben, würde sich ein aufregendes neues Muster ergeben!“ Die Hände der jungen Frau flatterten wie Schmetterlinge durch die Luft, während sie versuchte ihre Idee zu erklären.

„Nein!“, blaffte die Alte und hätte ihren beiden Kolleginnen beinahe den Gehstock über die Köpfe gezogen.

Die Jüngste zog ein finsteres Gesicht, hob jedoch die Schere und durchtrennte mit einem Seufzen den Faden.

Die Schwangere zog bereits einen neuen Faden auf das Schiffchen, während die anderen beiden kritisch das Gewebe begutachteten.

„Du hattest Recht“, sagte die Blonde schließlich. Derweil webte die andere die nächsten Reihen. „Der Faden hätte dort nicht hineingepasst.“

Die Alte schnaubte unfein. Dann erlaubte sie sich ein kleines Lächeln, dass die Faltenlandschaft ihres Gesichts in eine ungewohnt fröhliche Miene verwandelte. „Ist schließlich nicht deine Schuld, Mädchen. Es ist immerhin an den Erfahrenen aus der Vergangenheit zu lernen.“

„Und die Aufgabe der Mütter ist es, die Welt von heute zu formen.“ Mit elegantem Schwung und zufriedener Miene setzte sie das Webschiffchen ab.

„Was hast du nur getan, du dumme Gans!“, keifte die Alte. Ihr war entgangen, wie die Schwangere die Fäden neu kombiniert hatte.

„Unsinn, es ist wunderschön!“

„Du hast das ganze Bild ruiniert!“ Mit ihrem schweren Stock schlug die Alte nach den Beinen der Jüngeren. Mit einem kleinen Schmerzensschrei sprang diese aus der Reichweite des zornig geschwungenen Holzes.

„Ich finde es gelungen“, äußerte sich die Blonde vorsichtig.

„Weil du keine Ahnung hast, du dummes Ding!“

„Urd, das reicht jetzt aber!“, sagte die Schwangere mit scharfer Stimme.

Und so hört man sie weithin streiten, die Alte, die Mutter und das Mädchen, während sie den Teppich des Lebens weben. Manchmal hört man Skurd, die Jüngste, im Wind seufzen, wenn ihr unschuldiges Herz ein weiteres Leben beenden muss. Es kann auch passieren, dass man Urds Stockhiebe spürt, als dumpfe Donnerschläge in weiter Ferne. Oder Verdandis mütterliche Fürsorge im Schoß der Erde.

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Sicherheitskontrolle

„Gut, dann bitte einmal umdrehen.“ Die Frau folgte der Aufforderung, sodass Selina sie mit dem Scanner abfahren konnte. Er piepte bei den Ohrringen, aber das war in Ordnung. Als sie über den linken Oberarm der Frau fuhr, leuchtete das Gerät grün auf.

„Gut sie dürfen durch gehen.“ Die Frau nahm ich Gepäck entgegen. Der Nächste in der Reihe brauchte einige Minuten, bis er sein ganzes Gepäck aufs Band geladen hatte und so konnte Selina einen Moment durchatmen.

Mehr als neun Monate hatte sie während der Ausgangssperre am Existenzminimum gelebt. Sie hatte ein wunderschönes Cafe besessen, das sie sich mit einer Freundin in harter Arbeit aufgebaut hatte. Doch als alle Restaurants schließen mussten, dauerte es nicht lange, bis sie Pleite gingen. Sie war froh nun diesen Job bekommen zu haben, auch wenn er unerträglich langweilig war.

Seit die Flughäfen vor einem Monat wieder aufgemacht hatten, wurde mehr Personal benötigt für das erhöhte Flugaufkommen und die Einhaltung der neuen Sicherheitsvorschriften. Es wurde gut bezahlt, aber dafür waren die Preise für einen Flug auch fünfmal so teuer wie früher.

Der alte Mann hatte endlich all seinen Elektrokram aus seinen Taschen gesucht und in die Durchleuchtekästen gepackt. Jetzt trat er vor Selina, um sich von ihr checken zu lassen. Er war klein, dünn und gebrechlich, trotzdem strahlte er eine stählerne Entschlossenheit aus. Irgendwie erinnerte er sie an eine Schildkröte. Mit seinen blassen Augen schaute er sie fest an.

Selina versuchte seinem Blick aus dem Weg zu gehen, indem sie ganz normal ihrer Tätigkeit nachging und seine Gliedmaßen mit dem Scanner abfuhr. Er piepte bei dem Ehering an seiner Hand. Nichts Ungewöhnliches.
„Bitte einmal umdrehen“, bat sie ihn höflich. Das tat er. Sie fuhr mit dem Scanner seinen Rücken, seine Beine und seine Oberarme ab. Das Gerät blinkte rot auf und gab ein schrilles Piepsen von sich. Erschrocken fuhr sie zusammen. Das war bisher noch nicht passiert.

Sie fuhr erneut über seine Arme. Wieder das rote Blinken und das Piepsen.

„Entschuldigen Sie. An welchem Arm befindet sich ihre Impfung?“, fragte Selina den Mann. Vor drei Monaten war der Impfstoff für COVID-19 von der Bundesregierung freigegeben worden. Die Menschen hatten sich beeilt geimpft zu werden, damit das Leben wieder normal weiter gehen konnte. Aus Sicherheitsgründen war die Impfung außerdem Voraussetzung für viele Bereiche der Öffentlichkeit geworden. So musste jedes Kind, das die Schule besuchte, geimpft sein, Jeder, der Mitglied in einem Sportverein war und jeder der eine Grenze übertreten wollte. Oder eben mit dem Flugzeug fliegen wollte. Die Prüfung der Impfung war Teil von Selinas Job, doch bislang war das Gerät immer grün aufgeleuchtet. Schließlich wussten die Leute ja, dass sie die Impfung brauchten.

Der alte Mann drehte sich wieder zu ihr um, noch immer diesen festen Blick in den Augen.
„Ich habe keine Impfung“, sagte er.
„Okay, sie bekommen dort drüben eine, dann können Sie den Flug antreten“, sagte Selina und deutete auf einen ihrer Kollegen, der mit der Impfausrüstung am Rand der Kontrollen bereitstand. Sie winkte ihn zu sich herüber.

„Nein“, sagte der Mann.

„Aber das müssen sie, wenn Sie in ihr Flugzeug steigen wollen, sonst ist die Reise hier für Sie zu Ende“, versuchte sie ihm zu erklären.
„Das ist gegen mein Recht auf Unversehrtheit“, sagte er.

„Es ist ja keine wirkliche Verletzung. Sie bekommen lediglich eine kleine Spritze.“

„Können Sie mir sagen, was genau da in dieser Spritze ist?“, fragte der Mann mit erhobenen Augenbrauen.

„Nun ja, der Impfstoff eben.“ Verärgert runzelte Selina die Stirn. Konnte dieser alte Zausel nicht einfach abziehen, seine Spritze bekommen und nicht den ganzen Verkehr aufhalten? Inzwischen staute es sich hinter ihm und einige Leute schauten nervös auf ihre Uhren.

Der Mann zeigte auf das Gerät, das sie in ihren Händen hielt. „Und auf was reagiert dann ihr schlaues Gerät?“

Kurz irritiert blickte sie auf den länglichen schwarzen Apparat in ihren Händen. Er hatte einen schwarzen Plastikgriff, der in einen etwa 30 Zentimeter langen, an den Seiten abgeflachten, Plastikstab überging. Es reagierte auf Metall, das die Leute am Körper trugen, und den Impfstoff. Naja, auf die Stelle an die der Impfstoff gespritzt worden war. Der Impfstoff selbst löste sich ja schließlich im Körper auf. Oder so.

„Er reagiert auf den Chip, den sie den Leuten mit dem Impfstoff einpflanzen!“ Die Stimme des Mannes zitterte vor Erregung, auch wenn er leise sprach. „Wie muss sich die Regierung gefreut haben, als sich ihr diese Gelegenheit geboten hat. Endlich die gesamte Bevölkerung chippen lassen. Endlich die totale Überwachung etablieren. Erst ihre App, jetzt der Chip. Ich werde mich nicht chippen lassen. Ich weigere mich!“

„Aber die App war doch wichtig bei der Bekämpfung von Corona. Ohne sie hätten wir die Ausbreitung nicht so schnell stoppen können. Außerdem ist es Unsinn sich nicht impfen zu lassen, schließlich gefährden Sie damit nicht nur sich, sondern auch andere Menschen. Kinder und alte Leute…“ Selina verstummte. Eigentlich war seine Handlung hauptsächlich gefährlich für ihn selbst, denn er war definitiv in der Risikogruppe.

Der Kollege mit der Impfausrüstung kam hinzu, wie Selina erleichtert bemerkte.

„Dieser Herr benötigt noch eine Impfung für seinen Flug“, erklärte sie ihm.

„Nein!“, beharrte der Mann etwas lauter. „Ich werde mich NICHT chippen lassen!“

„Jetzt seien Sie doch vernünftig“, sagte ihr Kollege.

„Lassen Sie mich jetzt bitte durch, ich darf meinen Flieger nicht verpassen. Meine Enkelin wurde vor wenigen Tagen geboren. Wollen Sie mir das Glück verwehren, sie in den Armen zu halten?“

„Sicherlich nicht“, antwortete ihr Kollege. „Ein kurzer Piekser und niemand hindert sie mehr daran.“

„Nein!“

Ihr Kollege zögerte nicht und gab den Securityleuten, die die Auseinandersetzung schon beobachtet hatten, einen Wink worauf sie herüber kamen.

„Das könnt ihr nicht machen!“ Die Stimme des Alten war flehend. Selina sah ihn traurig an. Er tat ihr Leid.

Die Kollegen von der Security nahmen den Mann eisern an der Schulter und geleiteten ihn Richtung Absperrung. Sie sah ihm nach wie er weiter abwechselnd zeternd, dann bittend, dann sich wieder wütend gebärdete. Unwillkürlich strich sie mit den Fingern über die Narbe an ihrem linken Oberarm. Spürte sie dort nicht etwas Kleines, Festes? Sie hatte es für eine Hautverhärtung gehalten.

„Selina, die Nächsten warten“, sagte der Kollege mit der Impfausrüstung und holte sie aus ihren Gedanken. Vor ihr stand eine Schlange von verärgerten Flugpassagieren, die darauf warteten durch die Sicherheitskontrolle zu kommen.

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Die Seele des Kriegers

Der Dschungel erhebt sich in reicher Fülle zu allen Seiten, wie eine Fototapete in so manchem geschmacklos eingerichteten Schlafzimmer. In einem Dschungel wachsen die Bäume nicht einfach jeder für sich. Dort, wo ein Baum wächst, ranken sich noch mindestens drei weitere Pflanzen um seinen Stamm und in seiner Krone, nicht zu vergessen die unzähligen Lianen, die den ganzen Wald zu einem einzigen Knäul verknoten. Betupft ist diese einzigartige Wand mit unzähligen daumen- bis faustgroßen Blüten in fast allen Farben, die sich vorstellen lassen.

Natürlich steht mein Thron nicht irgendwo im Dschungel, sondern an einem der schönsten Flecken überhaupt. Von meinem Felsen aus hat man Überblick über die grünen Berge, die sich wie Falten einer Decke über das Land erstrecken. Schmetterlinge tanzen in Paaren über die Kante, hinab ins Tal und Kakadus und Kokoburras segeln auf ihren Schwingen dahin oder verspotten meine Besucher mit ihrem Gekrächze und Gelächter.

Und da kommt auch gerade ein neuer Besucher an. Mit kurzer Kleidung im Dschungel, ich schüttelte den Kopf, entweder er war dumm oder furchtlos. Ich werde es gleich herausfinden. Mit offenen Augen schaut sich der junge Mann auf meiner Lichtung um und erstarrt, als er die herzförmigen Blätter erkennt, die die Lehne meines Stuhles formen. Die Blätter des Gympie Gympie. Schandmäuler nennen mich auch Selbstmordpflanze.

„Wo bin ich?“, fragt er mich.

„Du bist an einem Ort, an dem du dich entscheiden musst“, erkläre ich, „Du hast es gewagt mich zu berühren und wirst deine Schuld abbezahlen müssen.“

Seine Augen weiten sich. Sofort fährt sein Blick hinunter zu seiner linken Hand. ‚Da kann er aber glücklich sein, dass es nur die Hand ist‘, denke ich bei mir. Zu gut konnte ich mich noch an jenen strammen Soldaten erinnern, der die zarten, herzförmigen Blätter irrtümlicherweise für Klopapier gehalten hatte. Die Schuld war zu hoch gewesen und er stürzte sich direkt vor meinen Augen von dieser Klippe, noch bevor ich die Sache mit der Schuld genau erklären konnte.

„Welche Schuld? Und welche Entscheidung?“, fragt er. Sein Verstand versucht anscheinend noch alles zu verarbeiten. Allerdings bringen die kleinen Wesen, die nun über die Lichtung springen, ihn dabei ganz offensichtlich aus dem Konzept.

Ein tiefblauer Vogel mit grünem Kopf, der sich auf einem Ast niederlässt, ein kleines, buckliges Männlein ohne Haare, das versucht an seinem Bein empor zu klettern, eine feenhafte Gestalt, die mit glitzernden Libellenflügeln um seinen Kopf schwirrt und ein zerzauster Wombat, der sich an das andere Bein drückt.

Das Spinnenhafte Wesen, das sich an seinem Hinterkopf festgesaugt hat und seine langen schwarzen, Tentakelbeine in die Nerven seines Rückgrades gegraben hat, bemerkte er zum Glück nicht. Der Schmerz war schon immer ein hinterhältiges Biest.

„Dein Verbrechen ist Respektlosigkeit gegenüber der Göttin des Waldes“, erkläre ich sachlich und versuche geduldig zu sein. Schließlich können die Menschen ja nichts dafür, dass sie so schwer von Begriff sind. „Das Gift, das sich jetzt in deinem Körper befindet, wird dich rein brennen. Das ist alles andere als angenehm, denn der Schmerz wird sich noch weiter steigern, aber mit jeder Sekunde, die du diesen Schmerz erträgst, gedenkst du mir und dem Dschungel. Ich versichere dir, dein Respekt für den Dschungel wird nach diesen Tagen wiederhergestellt sein. Du darfst dich dann auch Krieger nennen, wenn du willst, denn die Prüfung eines Kriegers war es in den alten Tagen, eine Begegnung mit mir zu überleben. Du magst dir gar nicht ausmalen, wie verweichlicht die meisten Menschen sind, die heute zu mir kommen. Manche stürzen sich so schnell in den Abgrund, dass sie mir überhaupt nicht richtig zu hören.“

Sein Blick zuckt kurz zu der Felskante hinüber, aber er fängt sich gleich wieder.

„Was sind das für Geschöpfe?“, fragt er. Er geht in die Knie, schiebt das hässliche Männchen von sich und beginnt den Wombat zu streicheln.

„Das sind deine stärksten Emotionen“, sage ich, „Der pelzige Felsbrocken zu deinen Füßen ist dein Wille. Ich muss gestehen, das ist ein ganz ordentlicher Wille. So gut wie unzerstörbar.“ Ich deute auf das Männlein, das wieder versucht sich zu nähern. „Das ist deine Angst. Manchmal sitzt sie auf deiner Schulter und flüstert dir Dinge ein. Sie wächst allerdings nur, wenn du ihr auch Aufmerksamkeit schenkst.“

„Was ist mit dieser Libelle? Oder ist es eine Fee? Sie kommt mir so bekannt vor.“

Ich lächle. „Das ist deine Liebe. Zart, aber mit Flügeln, die jedes Hindernis überwinden können. Der Schmerz schließlich, der sitzt dir gerade ganz schön hässlich im Nacken. Sieh dich besser nicht um, das willst du nicht sehen.“

Entsetzt keucht er auf.

„Ich sagte doch: nicht umdrehen“, ich seufze und schüttle den Kopf. Diese Menschen. „Nun ja und der Vogel dort im Baum ist deine Hoffnung, quasi das Licht am Ende des Tunnels.“

Ich tippe mit den Fingerspitzen meiner rechten Hand auf die Handfläche meiner linken Hand, während der Mann panisch versucht das Wesen auf seinem Rücken loszuwerden. Fluchend versucht er es mit den Händen zu packen, doch es ist zu glitschig und gräbt sich stattdessen noch tiefer in sein Fleisch.

Völlig außer Atem und ohne zufriedenstellendes Ergebnis sitzt er schließlich da.

„Also, wie schon gesagt“, fahre ich mit mahnend erhobenem Finger fort, „Respektiere den Dschungel und seine Gottheiten und büße für deine Fehler mit deinem Schmerz. Überstehst du ihn, so wirst du mit der Seele des Kriegers wiedergeboren. Und so weiter und so fort. Noch irgendwelche Fragen?“

„Ähm, ich denke nicht.“

„Schön, dann viel Spaß noch mit dem Nervengift.“ Damit schicke ich ihn wieder zurück in seinen Körper.